Unscharf, unbestimmt, entzogen – über die Schwarz-Weiß-Fotografien von Kristin Loschert legt sich Unschärfe wie ein opaker Schleier. Die vor den Blick gesetzte Unschärfe ist bestimmendes Element der fortlaufenden, fotografischen Dokumentation "Boxer". Ihren Anfang nahm die Serie 2012 in Jüterbog, einer Kleinstadt im Niederen Fläming in Brandenburg, wo seit Jahrzehnten junge Anwärter für den Boxsport im "Haus des Sports" trainieren. In der Nachwendezeit verfällt der Baukomplex mehr und mehr, es gibt weder Heizung noch ausreichende Beleuchtung, die Sportgeräte in der Halle zeugen von einem jahrzehntelangen, intensiven Gebrauch: Mürbe geschlagene Sandsäcke, zerschlissene Boxhandschuhe, geflickte Medizinbälle.
Ein Teil der Fotoserie auf Barytpapier dokumentiert den Ort und sein Inventar. Die Aufnahmen kennzeichnet weniger ihr Herausgerissensein aus dem Zeitfluss durch das Arretieren eines flüchtigen Augenblicks im Akt der Fotografie, wie ihn Roland Barthes beschrieben hat, vielmehr zeigt sich die verstreichende Zeit selbst in den abgebildeten Gegenständen und Details des Innenraumes. Diese Detailaufnahmen sind Dokumente unermüdlichen Übens, das über die Zeit hinweg seine sichtbaren Spuren hinterlassen hat. So zeigen die Bilder nahezu landschaftliche Oberflächen, die durch den unermüdlichen Gebrauch entstanden sind: Die hügelige Struktur eines viel geschlagenen Gongs, die wellenartigen Lienen aus Wasser und Pfützen von Blut auf dem Ringboden.
In den Portraits von jungen Boxern hingegen scheint die Zeit selbst stillgelegt zu sein. Ein Moment wird aus dem Zeitfluss herausgelöst und im Bild festgehalten. Das Kameraauge wählt einen für das menschliche Auge nicht distinguierbaren Bruchteil einer Sekunde aus und bannt ihn auf das Filmmaterial. Die entstandene Fotografie zeigt einen ephemeren Moment als Ewigkeit. Die Bewegungen der Körper, ihre Gesten und Blicke sind nur noch als Spur in Form von Bewegungsunschärfe evident.
In den Portraits von jungen Boxern hingegen scheint die Zeit selbst stillgelegt zu sein. Ein Moment wird aus dem Zeitfluss herausgelöst und im Bild festgehalten. Das Kameraauge wählt einen für das menschliche Auge nicht distinguierbaren Bruchteil einer Sekunde aus und bannt ihn auf das Filmmaterial. Die entstandene Fotografie zeigt einen ephemeren Moment als Ewigkeit. Die Bewegungen der Körper, ihre Gesten und Blicke sind nur noch als Spur in Form von Bewegungsunschärfe evident.
In einigen der Nahaufnahmen von Kristin Loschert sind die bloßen Hände der Sportler zu sehen. Ohne den obligatorischen Boxhandschuh bleibt das Bildgeschehen jedoch nahezu unbestimmbar und ist weit entfernt von typischen Boxsportaufnahmen, die oft mit schonungsloser Gewalt den Effekt eines Live-Erlebnisses beim Betrachter hervorrufen wollen. Kristin Loscherts Fotografien von Boxern entgehen solchen Sonderfällen körperlicher Realität. Sie zeigen keine Wunden hinterlassende Gewalt, keine Verletzungen, weder Schlagkraft noch Schnelligkeit sind effektvoll in Szene gesetzt – jegliches Kampfgeschehen mit einem Gegner fehlt. Es ist das Individuum, das im Fokus steht. Die Künstlerin arbeitet mit starkem Zoom, tastet sich nur langsam, fast scheu an die Person heran, um das Aufbrechen der festgelegten Handstellungen und der vorgeschriebenen Bewegungsformeln in Momenten des Unbeobachtetseins einzufangen. Was sich über Gebärden, Mimik und Ausrichtung der Blicke mitteilt, ist ein individueller, körperlicher Selbstausdruck. Er zeichnet sich durch ein Changieren zwischen Bestimmtheit und Fragilität aus. Die Fotografien sind ohne Blitzlicht und Stativ, allein mit dem spärlich vorhandenen Hallenlicht, das ein Notstromaggregat liefert, und hochempfindlichen Film aufgenommen. Das Korn reißt dadurch auf und erzeugt ein weiches, fotografisches Sfumato, das sich über jede der Aufnahmen legt. Diese Rückwirkung korrespondiert mit der verletzlichen Phase der Adoleszenz, in denen sich die Boxer befinden, und wo die Kraft des Körpers und der Konzentrationsfähigkeit beständig an ihre Grenzen kommen. Was sich in Kristin Loscherts Fotografien zeigt, kommt einer fotografischen Revision des Klischees vom Boxsport gleich: Es sind Bilder von jungen Menschen im konzentrierten Zustand des Bei-Sich-Seins.
Text: Olivia Franke
Text: Olivia Franke