Es war ein kalter Morgen im Januar 1959, an dem sich der Ostberliner Fotograf Konrad Hoffmeister aufmachte, um die Grenze abzuschreiten, die sich mitten durch seine Stadt zog – eine der Frontlinien, an denen sich in der ganzen Welt zwei feindliche Lager gegenüberstanden. Anders als in Korea fielen im Berlin des Kalten Krieges aber vorerst keine Schüsse. Noch konnte man ohne Gefahr für Leib und Leben von Ost nach West und von West nach Ost gelangen – durch den bloßen Wechsel der Straßenseite, durch das Überqueren einer Brücke oder das Passieren eines Tores. Keine zwei Jahre später änderte sich das grundlegend. Da spannte sich an den Orten, die Hoffmeister bei seiner Grenzbegehung fotografierte, der Stacheldraht, wuchs Stein für Stein eine Mauer, die Berlin fast drei Jahrzehnte lang endgültig zerteilen sollte.
Der Weg des Fotografen berührte alle vier Sektoren, den französischen, den britischen, den amerikanischen und natürlich immer wieder den sowjetischen. In der Gegend an der Bernauer Straße begann er zu fotografieren, folgte dann der Sektorengrenze bis zur Kieler Brücke und von dort südwärts durch den Tiergarten zum Potsdamer Platz, um sich dann nach Osten zu wenden und der Frontlinie über den Checkpoint Charlie bis zum Schlesischen Tor nachzugehen. Seine Aufmerksamkeit galt dabei nur selten den belebten Übergängen der nach wie vor durchlässigen Grenze. Seine Fotografien werden vielmehr beherrscht von Mauern, von Zäunen und Gräben und den allgegenwärtigen Warn- und Propagandaschildern der einander feindlichen Besatzungsmächte und ihrer deutschen Verbündeten. Fahl ist das Licht in der winterlichen Schneelandschaft, in der die Grenzlinie verläuft, eisig die Atmosphäre. Trotz der vielen Pendler zwischen Ost und West sind auf den Bildern nur wenige, oft einsame Menschen zu sehen. So dokumentieren die Fotografien nicht nur die damalige Situation, sondern wirken – zumindest für den heutigen Betrachter – visionär, wie eine Vorwegnahme künftiger Ereignisse.
Hoffmeisters Aufnahmen verdanken sich zweifellos der aktuellen Zuspitzung des Ost-West-Konflikts durch eine Note des sowjetische Parteichefs Nikita Chruschtschow, der die Westmächte zwei Monate zuvor ultimativ aufgefordert hatte, aus Berlin abzuziehen und Westberlin in eine »entmilitarisierte«, man kann auch sagen: wehrlose »Freie Stadt« umzuwandeln, die nach seinem Willen unabhängig von der Bundesrepublik und von der DDR existieren sollte. Von der östlichen Propaganda als »Friedensinitiative« gepriesen, löste die Note eine heftige politische Krise aus, die zur Konfrontation gefechtsbereiter Panzer mitten in Berlin führte und deren bleibendes Ergebnis die Berliner Mauer wurde.
Konrad Hoffmeister (1926–2007), damals 32 Jahre alt, gehörte zu den wenigen ostdeutschen Fotografen, die ihre Zeit mit gebotener Skepsis beobachteten und unabhängig von offiziellen Aufträgen aus eigenem Antrieb dokumentierten. Hoffmeister lehnte das Ziel des Aufbaus eines sozialistischen Staates keineswegs ab, aber es war ihm unerträglich, dass die Einheitspartei jeden eigenen Gedanken, jede abweichende Ansicht im Keim zu ersticken trachtete. Aus diesem Grunde war er schon im Sommer 1956 aus der SED ausgetreten und galt von da an als »Verräter«. Er verlor umgehend seine Anstellung als Dozent für Fotografie an der Kunsthochschule in Weißensee und bekam auch keine andere mehr. Aber es gelang ihm, sich in Ostberlin als selbständiger Theater-, Film- und Werbefotograf zu etablieren und daneben unabhängig und mit viel anarchischem Geist seinen eigenen künstlerischen Interessen nachzugehen.
Von den Behörden immer wieder misstrauisch beäugt, entstanden so in wenigen Jahren Tausende von Aufnahmen, die im Gegensatz zur offiziellen Bildwelt ein realistisches Bild der Berliner Nachkriegswirklichkeit zeichnen. Zu Hoffmeisters Lebzeiten blieben die nur mit dem viel gerühmten Berlin-Bildern Arno Fischer vergleichbaren Fotografien weitgehend unbekannt. Nach seinem Tod gelangte sein Nachlass in das Bildarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wo der Publizist und Fotokurator Mathias Bertram erstmals die Negative aller 14.000 Berlin-Aufnahmen Hoffmeisters sichten konnte. Zusammen mit ausführlichen Hintergrundinformationen publizierte er 2014 eine Auswahl von 170 Fotografien in dem im Lehmstedt Verlag erschienenen Bildband »Konrad Hoffmeister: Von Panik keine Spur« im Lehmstedt Verlag, der auch bereits sieben Aufnahmen des Grenzbegehung enthielt.
Für die Ausstellung erweiterten Mathias Bertram und Kirsten Landwehr nach einer erneuten Sichtung der Negative die Auswahl auf zwanzig Fotografien, die nun erstmals öffentlich gezeigt werden. Da Hoffmeister nur kleinformatige Arbeitskopien einiger Motive dieser Serie hinterlassen hat, wurde für die Ausstellung eine auf fünf Exemplare limitierte Edition von digital belichteten Pigmentdrucken auf Fine Art Barytpapier im Format 28 x 40 cm bzw. 21 x 24 cm hergestellt.
Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit der Bildagentur bpk, einer Einrichtung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die den Nachlass Konrad Hoffmeisters aufbewahrt, pflegt und die Rechte an den Fotografien hält.
Der Weg des Fotografen berührte alle vier Sektoren, den französischen, den britischen, den amerikanischen und natürlich immer wieder den sowjetischen. In der Gegend an der Bernauer Straße begann er zu fotografieren, folgte dann der Sektorengrenze bis zur Kieler Brücke und von dort südwärts durch den Tiergarten zum Potsdamer Platz, um sich dann nach Osten zu wenden und der Frontlinie über den Checkpoint Charlie bis zum Schlesischen Tor nachzugehen. Seine Aufmerksamkeit galt dabei nur selten den belebten Übergängen der nach wie vor durchlässigen Grenze. Seine Fotografien werden vielmehr beherrscht von Mauern, von Zäunen und Gräben und den allgegenwärtigen Warn- und Propagandaschildern der einander feindlichen Besatzungsmächte und ihrer deutschen Verbündeten. Fahl ist das Licht in der winterlichen Schneelandschaft, in der die Grenzlinie verläuft, eisig die Atmosphäre. Trotz der vielen Pendler zwischen Ost und West sind auf den Bildern nur wenige, oft einsame Menschen zu sehen. So dokumentieren die Fotografien nicht nur die damalige Situation, sondern wirken – zumindest für den heutigen Betrachter – visionär, wie eine Vorwegnahme künftiger Ereignisse.
Hoffmeisters Aufnahmen verdanken sich zweifellos der aktuellen Zuspitzung des Ost-West-Konflikts durch eine Note des sowjetische Parteichefs Nikita Chruschtschow, der die Westmächte zwei Monate zuvor ultimativ aufgefordert hatte, aus Berlin abzuziehen und Westberlin in eine »entmilitarisierte«, man kann auch sagen: wehrlose »Freie Stadt« umzuwandeln, die nach seinem Willen unabhängig von der Bundesrepublik und von der DDR existieren sollte. Von der östlichen Propaganda als »Friedensinitiative« gepriesen, löste die Note eine heftige politische Krise aus, die zur Konfrontation gefechtsbereiter Panzer mitten in Berlin führte und deren bleibendes Ergebnis die Berliner Mauer wurde.
Konrad Hoffmeister (1926–2007), damals 32 Jahre alt, gehörte zu den wenigen ostdeutschen Fotografen, die ihre Zeit mit gebotener Skepsis beobachteten und unabhängig von offiziellen Aufträgen aus eigenem Antrieb dokumentierten. Hoffmeister lehnte das Ziel des Aufbaus eines sozialistischen Staates keineswegs ab, aber es war ihm unerträglich, dass die Einheitspartei jeden eigenen Gedanken, jede abweichende Ansicht im Keim zu ersticken trachtete. Aus diesem Grunde war er schon im Sommer 1956 aus der SED ausgetreten und galt von da an als »Verräter«. Er verlor umgehend seine Anstellung als Dozent für Fotografie an der Kunsthochschule in Weißensee und bekam auch keine andere mehr. Aber es gelang ihm, sich in Ostberlin als selbständiger Theater-, Film- und Werbefotograf zu etablieren und daneben unabhängig und mit viel anarchischem Geist seinen eigenen künstlerischen Interessen nachzugehen.
Von den Behörden immer wieder misstrauisch beäugt, entstanden so in wenigen Jahren Tausende von Aufnahmen, die im Gegensatz zur offiziellen Bildwelt ein realistisches Bild der Berliner Nachkriegswirklichkeit zeichnen. Zu Hoffmeisters Lebzeiten blieben die nur mit dem viel gerühmten Berlin-Bildern Arno Fischer vergleichbaren Fotografien weitgehend unbekannt. Nach seinem Tod gelangte sein Nachlass in das Bildarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wo der Publizist und Fotokurator Mathias Bertram erstmals die Negative aller 14.000 Berlin-Aufnahmen Hoffmeisters sichten konnte. Zusammen mit ausführlichen Hintergrundinformationen publizierte er 2014 eine Auswahl von 170 Fotografien in dem im Lehmstedt Verlag erschienenen Bildband »Konrad Hoffmeister: Von Panik keine Spur« im Lehmstedt Verlag, der auch bereits sieben Aufnahmen des Grenzbegehung enthielt.
Für die Ausstellung erweiterten Mathias Bertram und Kirsten Landwehr nach einer erneuten Sichtung der Negative die Auswahl auf zwanzig Fotografien, die nun erstmals öffentlich gezeigt werden. Da Hoffmeister nur kleinformatige Arbeitskopien einiger Motive dieser Serie hinterlassen hat, wurde für die Ausstellung eine auf fünf Exemplare limitierte Edition von digital belichteten Pigmentdrucken auf Fine Art Barytpapier im Format 28 x 40 cm bzw. 21 x 24 cm hergestellt.
Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit der Bildagentur bpk, einer Einrichtung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die den Nachlass Konrad Hoffmeisters aufbewahrt, pflegt und die Rechte an den Fotografien hält.
Text: Mathias Bertram
Für weitere Informationen und Bildmaterial wenden Sie sich bitte an:
Kirsten Landwehr, mail@galeriefuermodernefotografie.com
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Kirsten Landwehr, mail@galeriefuermodernefotografie.com
English version
It was a cold January morning in 1959 when East Berlin photographer Konrad Hoffmeister set out to explore the border running through his city—one of the front lines in the entire world where two enemy forces faced one another. Unlike in Korea, however, no bullets were fired initially in Cold War Berlin. Crossing from East to West and West to East was still possible without risking one’s life—by simply moving from one side of the street to the other, crossing over a bridge, or passing through a gate. Barely two years later this changed completely. Barbed wire stretched across locations where Hoffmeister photographed the border along his walk; stone-by-stone a wall began taking shape that would ultimately divide Berlin in half for nearly three decades.
The route of the photographer passed through all four sectors: the French, the British, the American and, of course, the Soviet. Around Bernauer Strasse he began taking pictures, he then walked along the sector border to Kieler Bridge and from there south through Tiergarten to Potsdamer Platz, then headed east along the front line via Checkpoint Charlie to Schlesisches Tor. His attention was rarely focused on the busy crossing points of the still-open border. Rather, his photographs feature walls, fences, and trenches, as well as the omnipresent warning and propaganda signs of the mutually hostile occupying forces and their German allies. A pale light illuminates the wintery landscape through which the border passes; the atmosphere is icy. Despite the high volume of crossings between East and West, only a few solitary people are visible in the images. The photographs not only document the situation at the time but also seem visionary—at least to today’s viewer—like a harbinger of future events.
Hoffmeister’s photographs are without question a result of the intensifying of the recent East-West conflict following an ultimatum by Soviet party leader Nikita Khrushchev, who two months earlier had demanded that Western powers withdraw from Berlin and West Berlin be turned into a “demilitarized”—one might also say defenseless—“free city,” which according to his decree would exist independent of the Federal Republic and the GDR. Touted by Eastern propaganda as a “peace initiative,” the ultimatum triggered a major political crisis that led to the stand off between battle-ready tanks in Berlin and whose enduring impact was the Berlin Wall.
Konrad Hoffmeister (1926-2007), then thirty-two years old, was one of the few East German photographers who observed their era with sufficient skepticism, documenting it on his own independent of any official commission. Hoffmeister in no way rejected the goal of constructing a socialist state, but he found it unbearable that the Unity Party sought to stifle every independent thought, every deviating viewpoint, in its infancy. This is why he resigned from the SED in the summer of 1956 and was considered a “traitor” from then on. He immediately lost his job as an assistant professor of photography at the Weißensee School of Art and held no other teaching positions. But he managed to establish himself as an independent theater, film, and advertising photographer in East Berlin and to pursue his own artistic interests independently and with a great deal of anarchic spirit.
Repeatedly eyed suspiciously by the authorities, thousands of photographs were taken in just a few years and offer a realistic depiction of Berlin’s post-war reality in contrast to the official imagery. During his lifetime, the photographs, which can only be compared to the much-celebrated Berlin pictures of Arno Fischer, remained largely unknown. After his death, his estate was transferred to the image archive of the Prussian Cultural Heritage Foundation (SPK), where journalist and photography curator Mathias Bertram was the first to examine the negatives of all 14,000 Berlin-based images. Together with extensive background information, he published in 2014 a selection of 170 photographs in the photo book Konrad Hoffmeister: Von Panik kein Spur, released by Lehmstedt Verlag, which also features seven photographs of the exploratory border walk.
After a fresh look at the negatives, Mathias Bertram and Kirsten Landwehr added twenty images to the selection of photographs for the exhibition, which will now be presented publicly for the first time. Since only small-format copies of several of Hoffmeister’s images from this series have survived, a limited edition of five Pigment Prints on Fine Art Barytpaper from digital negatives in 28 x 40 cm or 21 x 24 cm format was produced for the exhibition.
The route of the photographer passed through all four sectors: the French, the British, the American and, of course, the Soviet. Around Bernauer Strasse he began taking pictures, he then walked along the sector border to Kieler Bridge and from there south through Tiergarten to Potsdamer Platz, then headed east along the front line via Checkpoint Charlie to Schlesisches Tor. His attention was rarely focused on the busy crossing points of the still-open border. Rather, his photographs feature walls, fences, and trenches, as well as the omnipresent warning and propaganda signs of the mutually hostile occupying forces and their German allies. A pale light illuminates the wintery landscape through which the border passes; the atmosphere is icy. Despite the high volume of crossings between East and West, only a few solitary people are visible in the images. The photographs not only document the situation at the time but also seem visionary—at least to today’s viewer—like a harbinger of future events.
Hoffmeister’s photographs are without question a result of the intensifying of the recent East-West conflict following an ultimatum by Soviet party leader Nikita Khrushchev, who two months earlier had demanded that Western powers withdraw from Berlin and West Berlin be turned into a “demilitarized”—one might also say defenseless—“free city,” which according to his decree would exist independent of the Federal Republic and the GDR. Touted by Eastern propaganda as a “peace initiative,” the ultimatum triggered a major political crisis that led to the stand off between battle-ready tanks in Berlin and whose enduring impact was the Berlin Wall.
Konrad Hoffmeister (1926-2007), then thirty-two years old, was one of the few East German photographers who observed their era with sufficient skepticism, documenting it on his own independent of any official commission. Hoffmeister in no way rejected the goal of constructing a socialist state, but he found it unbearable that the Unity Party sought to stifle every independent thought, every deviating viewpoint, in its infancy. This is why he resigned from the SED in the summer of 1956 and was considered a “traitor” from then on. He immediately lost his job as an assistant professor of photography at the Weißensee School of Art and held no other teaching positions. But he managed to establish himself as an independent theater, film, and advertising photographer in East Berlin and to pursue his own artistic interests independently and with a great deal of anarchic spirit.
Repeatedly eyed suspiciously by the authorities, thousands of photographs were taken in just a few years and offer a realistic depiction of Berlin’s post-war reality in contrast to the official imagery. During his lifetime, the photographs, which can only be compared to the much-celebrated Berlin pictures of Arno Fischer, remained largely unknown. After his death, his estate was transferred to the image archive of the Prussian Cultural Heritage Foundation (SPK), where journalist and photography curator Mathias Bertram was the first to examine the negatives of all 14,000 Berlin-based images. Together with extensive background information, he published in 2014 a selection of 170 photographs in the photo book Konrad Hoffmeister: Von Panik kein Spur, released by Lehmstedt Verlag, which also features seven photographs of the exploratory border walk.
After a fresh look at the negatives, Mathias Bertram and Kirsten Landwehr added twenty images to the selection of photographs for the exhibition, which will now be presented publicly for the first time. Since only small-format copies of several of Hoffmeister’s images from this series have survived, a limited edition of five Pigment Prints on Fine Art Barytpaper from digital negatives in 28 x 40 cm or 21 x 24 cm format was produced for the exhibition.
The exhibition was organized in close partnership with the Prussian Heritage Image Archive (bpk), an agency of the Prussian Cultural Heritage Foundation, which houses and maintains the estate of Konrad Hoffmeister and holds the rights to the photographs.
Text: Mathias Bertram
For further informations and footage please contact:
Kirsten Landwehr, mail@galeriefuermodernefotografie.com
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Kirsten Landwehr, mail@galeriefuermodernefotografie.com